Der Verlust des Glaubens
Wie die Tugend des Glaubens vermehrt, so kann sie auch vermindert und gänzlich verloren werden. Vermindert wird sie durch die abnehmende Liebe zur Wahrheit, durch Alles, was den Geist für höhere Dinge abstumpft und ihn herunterzieht in die Gemeinheit des Lebens, oder durch gleichgültigen Nicht- oder Halbgebrauch der Gabe des Glaubens. Der lebendige Glaube wird verloren durch jede schwere Sünde, die uns der göttlichen Liebe und Gnade beraubt. Ist aber der
l e b e n d i g e Glaube verloren, so kann zwar, wie wir gesehen, der wahre Glaube noch bestehen bleiben, doch ist der todte Glaube sehr der Gefahr ausgesetzt, geradezu in Unglauben überzugehen. Denn die unheilige, gottentfremdete Gesinnung ist das vorzüglichste Hinderniß wie der Annahme, so auch der Bewahrung des Glaubens; wer die Sünde liebgewonnen hat und nicht von ihr scheiden will, wird die Wahrheit hassen; weil die Wahrheit ihm den Genuß der Sünde verbittert, wird er wünschen, daß sie nicht Wahrheit sei, und Scheingründe, zufällig zusammen gerafft, werden ihm genügen, sich dieser Störerin seiner Freuden zu entledigen. […] Auch ist zu beachten, daß der Glaube eine Gnade ist, und daß Gnaden, die wir nicht gebrauchen, oder die wir zu unserm Verderben mißbrauchen, uns leicht entzogen werden.Konrad Martin „Lehrbuch der katholischen Moral“ , Mainz 1855